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Renate Petzinger: Einführung in die Ausstellung Lebenswelten, Odgers Berentson, Frankfurt, 2011

   Marianne Janssen: Einführung in die Ausstellung Martina van de Gey in der Zentrale der OLB, 2009

   Jürgen Weichardt: Eröffnungsrede zur Ausstellung im Kunstfoyer am Langenweg, Oldenburg, 2006

   Aus dem vollen Schöpfen, Artikel in: Leverkusener Anzeiger und Kölnische Rundschau, 10.06.1995

   Exposition: Reve abstrait, Artikel in: Le Méridional / Le Provencial, 18.08.1993





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Renate Petzinger: Einführung in die Ausstellung Lebenswelten in den Räumen von ODGERS BERNDTSON, Olaf-Palme-Straße 15, 60393 Frankfurt am Main am 24. März 2011:

Liebe Martina van de Gey, sehr geehrte Frau Kuhl, verehrte Gäste,

bei Ihrem Spaziergang durch die Ausstellung hatten Sie schon Gelegenheit, sich mit den Gemälden von Martina van de Gey vertraut zu machen. Sie haben Bilder gesehen, auf denen manchmal eine, manchmal auch mehrere menschliche Figuren die Hauptrolle spielen. Es sind Figuren, die lebendig wirken und in Bewegung scheinen.

Sie gehen auf etwas zu. Sie halten inne und sie denken nach. Sie treten mit anderen Menschen in Kontakt, sie wenden sich jemandem zu. Sie lesen in einem Buch. Sie scheinen voller Skepsis, aber auch neugierig auf eine Welt, in der sie sich behaupten müssen und wohl auch behaupten wollen. Manchmal wirken sie auf sich allein gestellt und wie ausgeliefert gegenüber einem imaginären Geschehen, manchmal auch erscheinen sie diesem Geschehen gegenüber aktiv und zupackend. Auf der Suche nach imaginären Schätzen krümmen sie den Rücken und beugen sich zu etwas herab. Was könnte das Ziel ihrer Suche sein? Glück und Erfolg? Liebe und Anerkennung? Macht?

Einerseits sind die Figuren klar konturiert. Von ihrer Umgebung grenzen sie sich ab durch Umrisslinien und durch die Farbgebung. Details wie Haartracht, Kleider und Schuhe weisen sie aus als Menschen von heute. Sie scheinen wie gute Bekannte. Andererseits wirken sie merkwürdig schemenhaft und anonym. Es sind Menschen ohne Gesicht. Ihre Identität und die Geheimnisse ihrer Persönlichkeit geben sie nicht preis. Es scheint, als wollten sie nicht zulassen, dass wir ihnen zu nahe kommen oder dass wir die Geheimnisse ihres Denkens und ihres Tuns enträtseln. Dennoch empfinden wir sie nicht als fremd. Sie scheinen uns vertraut. Offensichtlich haben wir irgend etwas mit ihnen gemeinsam.

Lassen wir die Frage nach dieser Gemeinsamkeit zunächst unbeantwortet und wenden wir uns der Umgebung von Martina van de Geys Figuren zu, ihrem Aktionsfeld. Dieses Aktionsfeld besteht aus charakteristischen großflächigen Farbsegmenten.

Die Bildfläche ist häufig entlang einer horizontalen Linie zweigeteilt. Seltener gibt es Flächen ohne Teilung oder auch mehrfach abgeteilte Segmente. Nein, diese Farbflächen sind kein einfacher Hintergrund für Martina van de Geys Figuren. Eher könnte man sie als malerische Metapher für eine Welt verstehen, die diesen Figuren Halt gibt, die sie zugleich aber auch fordert – manchmal bis zum Extrem.

Schicht um Schicht trägt Martina van de Gey zur Darstellung dieser Umwelt und der darin agierenden Figuren pastose Farben auf. Dunkles Rot ist zuweilen als Wärmekörper erkennbar, immer wieder überdeckt durch helles Blau, Grün oder Weiß, immer wieder aber auch erneut freigelegt durch Kerbungen und Schnitte, die uns verraten:

Das Herstellen dieser Bilder ist kein Spaziergang, sondern ein körperlich spürbarer und fordernder Prozess, der im Bild, aber auch bei der Künstlerin physische Spuren hinterlässt. Der zuweilen wie ein Relief wirkende Farbauftrag mit seinen zahllosen Übermalungen, Sandbeimengungen und Einkerbungen verbindet die umgebenden Farbsegmente und die Figuren, als teilten sie ein gemeinsames Erleben und eine gemeinsame Geschichte.

Von diesem Erleben und von dieser Geschichte erzählen weitere und für Martina Van de Geys Gemälde charakteristische Elemente:

Texte und ovale Bildformen, die an die Sprechblasen eines Comic erinnern.

Nehmen wir eines der frühesten Gemälde dieser Ausstellung, die im Obergeschoss hängende Arbeit mit dem Titel „Büffelherden grasen“ aus der Serie „Navigation“. Die Figur auf diesem Bild, eine Person mit in die Seite gestützten Armen in Rückansicht, besteht nur aus einer Umrisslinie und diese Umrisslinie wiederum ist Text. Wir können ihn nur schwer entziffern, aber es scheint um die Selbstbehauptung in der Welt zugehen.

Ebenso schwer entzifferbar ist ein weiterer Text, der auf demselben Bild flächig den kleinen Hasen, eine Art Kinderzeichnung, bedeckt. Was haben der Hase und die Figur mit dem Titel des Bildes, mit grasenden Büffelherden, zu tun? Wir wissen es nicht, können es mit viel Phantasie allenfalls erahnen.

Rätselhaft bleibt für uns als Betrachter auch der lange Text auf dem großen Bild aus der Serie „Eine kleine Weltgeschichte“ hier in der Eingangshalle. Für das kleine menschliche Wesen rechts scheint der Text physisch etwas Bedrückendes zu haben. Was wird da erzählt? Ist es tatsächlich, wie der Titel andeutet, ein Stück Weltgeschichte, vor der wir alle klein sind wie Kinder, auch wenn wir längst erwachsen wurden? Und wonach hält die vereinzelt wirkende Figur Ausschau?

Die Texte auf Martina van de Geys Gemälden verweisen darauf, dass alle ihre Figuren eine Geschichte haben, so wie auch wir, die Betrachter, unsere Geschichten haben, aber welche Geschichten dies sind, soll sich nur selten entschlüsseln.

Einer dieser eher seltenen Fälle ist die ironisch-satirische Serie „Köln witzig“, in der die Künstlerin, die lange in Köln gelebt hat, hinter die Fassade der oft nur scheinbar zur Schau getragenen Fröhlichkeit der Stadt blickt. Bei näherer Betrachtung tun sich, wie häufig in der Satire, Abgründe auf.

Auf den ersten Blick bringen die in den Bildern gezeigten Figuren mittels ihrer Körpersprache eine gesunde Skepsis gegenüber so typisch kölnischen Sprüchen wie „Mer laache“ oder der Mentalität des „Nit dobei jewäse“ zum Ausdruck.

Wie ernsthaft und wie bedrohlich die Mentalität einer nur scheinbaren Fröhlichkeit und einer in den Medien immer häufiger diskutierten Mentalität des Wegschiebens von persönlicher Verantwortung sein kann, zeigte sich in Köln vor nicht allzu langer Zeit beim Einsturz des Kölner Stadtarchivs infolge des U-Bahnbaus, zeigt sich aber aktuell an tausenden weiteren Beispielen des Weltgeschehens.

Die kurzen und auf das Auslösen von Nachdenklichkeit gerichteten Zitate kölnischen Witzes – der diese Aufforderung zur Nachdenklichkeit übrigens hintergründig beinhaltet – sind eingeblendet in die schon erwähnten meist ovalen, manchmal rechteckigen Bildformen, die Martina van de Gey in die meisten ihrer Gemälde einarbeitet.

Auch auf anderen Bildern finden Wörter oder kurze Sätze in diesen „Sprechblasen“ ihren Ort.

Meistens aber enthalten die ovalen Bildformen angedeutete Geschichten, übermalte Fotocollagen und Versatzstücke von Ereignissen, die weitere Hinweise auf die Lebenswelten der Figuren von Martina van de Gey geben – oder zu diesen Lebenswelten neue Rätsel beitragen.

Besonders interessant sind die Bild-im-Bild-Geschichten in den beiden Serien „Im Land der Dichter“ und „Im Land der Denker“, die sie im ersten Obergeschoss finden. „Im Land der Dichter“ umfasst eine Serie von vier Bildern. Jedes von ihnen zeigt eine der uns schon bekannten schemenhaften Figuren – diesmal als schwarze scherenschnittartige Formen, dünn übermalt mit erdigen Farben. Sie stehen im Dialog zu seltsamen Fabelwesen – einer Pythonschlange, einem Leguan, einem Lemuren-Affen und einer Katze. Diese Fabelwesen, gehalten im gleichen erdigen Farbton, wirken bedrohlich.

Kommentiert wird dieser unheimliche Dialog, der auch ein Traum sein oder aus einem Märchen stammen könnte, von einer Art Jury aus seltsam streng blickenden Personen, die mit Zitaten aus dem amerikanischen Fotorealismus die ovalen Bild-im-Bild-Geschichten bevölkern.

Ja, Sie haben richtig gehört: Diese Jury kann streng blicken, sie hat Gesichter, hat Augen, ihre Mitglieder paffen dicke Zigarren, aber mit dem Geschehen zwischen Hauptperson und Fabelwesen hat dieses Einsprengsel aus der Welt des Fotorealismus wenig zu tun. Es herrscht Sprachlosigkeit.

In den beiden Arbeiten mit dem Titel „Im Land der Denker“ ist diese Sprachlosigkeit nicht überwunden. Die Scherenschnittfiguren sind schwarz und bleiben ohne Übermalung. Sie sind versunken in sich selbst oder in die Beschäftigung mit ihrem Smartphone. Es gelingt ihnen nicht, den Kontakt herzustellen zu ihren Gegenübern oder auch zu ihrem zweiten Ich in den ovalen Bild-im-Bild-Figuren. Sehen so die Denker von heute aus?

Beide Werkgruppen, die Dichter ebenso wie die Denker, wurden auf einem neuen Bildträger realisiert, den Martina van de Gey eher zufällig für sich entdeckt hat: Kautschuk.

Das mehrere Millimeter dicke, weiche und biegsame Material eignet sich nicht nur gut als Bildträger. Es ist auch eine geeignete Metapher für die Vermittlung der Botschaft vom Leben in einer Welt, in der Festigkeit und Vertrauen in das Beständige mehr und mehr abgelöst werden durch Erfahrungen des Hybriden, des Pendelns zwischen unterschiedlichen Zuständen, der Existenz von Mischformen und der Erkenntnis, dass absolute Wahrheiten in der Gesellschaft von heute immer seltener werden. Vielleicht ist es genau das, was uns an den Figuren von Martina van de Gey trotz ihrer Gesichtslosigkeit und ihrer Schemenhaftigkeit vertraut erscheint und was wir mit ihnen gemeinsam haben:

Das Infragestellen scheinbar gefestigter Wertvorstellungen und Gewissheiten und die Mischung aus Unsicherheit und Neugier, die dieses Infragestellen Jahr für Jahr und Tag für Tag auch bei uns erzeugt, ohne dass wir auf einen verlässlichen Kompass vertrauen könnten, der uns den Weg weist. Und das Rätsel der eigenen Identität, das wir uns bei alledem selber und den Menschen in unserer Nähe und unserer Umwelt aufgeben. Wissen wir überhaupt noch, wer wir sind? Wissen es die Anderen?

Meine Damen und Herren, die Lebenswelten von Martina van de Gey, die uns Anlass zu solchen Überlegungen geben, sind entstanden in den Jahren 2006 bis 2011. Zuvor hatte die 1958 geborene Künstlerin sich über einen langen Zeitraum von 20 Jahren ganz vom Thema der menschlichen Figur abgewandt und sich ausschließlich mit abstrakten Strukturen, mit der Komposition des Bildaufbaus und mit dem Thema Farbe und der Oberflächenbeschaffenheit des Farbmaterials beschäftigt.

Die Rückkehr von der Abstraktion zur Figur, die in der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts hin und wieder auch bei anderen Künstlern zu beobachten ist, war für Martina van de Gey anscheinend nicht eine Frage des Ob sondern eher eine Frage der Wann. Zu klar hatte sie sich schon einmal, nämlich am Beginn ihres Studiums für die menschliche Figur als Bildmotiv entschieden. Zu sehr hatte sie auf dieses Motiv hin auch die Wahl des Studienortes und des Lehrers ausgerichtet. Und zu intensiv hatte sie sich mit diesem Motiv auch während des Studiums auseinandergesetzt.

Sie studierte Malerei in Köln bei einem der Väter der Neuen Wilden Malerei und sie war zu Beginn der 1980er Jahre eine fleißige Schülerin beim Aktstudium. Nach eigenem Bekunden wurzelte der Anreiz, die menschliche Figur zu thematisieren, auch in einer engen Verbundenheit mir der Natur, der der Mensch als Teil zwar selber angehört, gegenüber der er aber auch als Störfaktor auftritt. Eine Beziehung also, die eine unendliche Menge an Fragen aufwirft.

Mitte der 1980er Jahre, in der Blütezeit der Postmoderne und der neuen wilden Malerei, thematisiert Martina van de Gey – damals noch Studentin – in ihren Bildern die erlebten Widersprüche der eigenen weiblichen Biografie zur Haltung des zweierlei Maß in den Strukturen und den Dogmen überkommener und verkrusteter religiöser und nichtreligiöser Institutionen. Plötzlich und unerwartet findet sie sich wieder am Rande eines Kunstskandals, bei dem ihre Bilder in einer kleinen Stadt im katholischen Teil Nordrhein-Westfalens aus einer Ausstellung entfernt werden. Der Schock führt zu der Entscheidung, sich einer eher durchdie Malerei des Informel geprägten abstrakten Formenwelt zuzuwenden. Es wird Jahre dauern, bis sie von da aus zu einer neuen und vollkommen gewandelten Darstellung der Figur zurückkehrt. Mit den seit dieser Rückkehr, also seit etwa 2006 entstandenen Gemälden lässt Martina van de Gey sich verorten im Umfeld einer vielfältigen und irritierenden Bilderwelt der Unschärfe, wie wir sie in der Malerei seit den 1960er Jahren von Gerhard Richter kennen.

Unschärfe, Übermalungen und Verwischungen sind aber gerade in den vergangenen Jahren von einer Generation jüngerer Künstlerinnen und Künstler als Mittel der künstlerischen Darstellung aufgegriffen worden. Sie helfen dabei, die Momente zwischen der Erscheinung und der Auflösung eines Zustandes, zwischen dem Erinnern und dem Vergessen, zwischen der Stabilität des Bewussten und der Instabilität des Unbewussten anzudeuten, einzufangen und sichtbar zu machen.

Die Position, die sich Martina van de Gey in diesem Umfeld inzwischen erarbeitet hat, erinnert nur noch wenig an ihre Ausbildung in Köln und an die Malerei der Neuen Wilden aus den 1980er Jahren. Eher könnte man bei der Betrachtung ihrer Arbeiten an Experimente der frühen amerikanischen Pop Art denken.

Meine Damen und Herren, ausgestattet mit diesem kleinen Leitfaden zum Verständnis von Martina van de Geys Bildern sind Sie nun zu einem zweiten Rundgang durch die Ausstellung eingeladen, bei dem ich Ihnen viel Spannung und Entdeckerfreude wünsche.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.





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Marianne Janssen: Einführung in die Ausstellung Martina van de Gey in der Zentrale der OLB am 3. Juni 2009

Es ist immer ein Problem, über Bilder zu reden, die man nicht vor Augen hat, zumal, wenn es sich um Arbeiten handelt, die so vielschichtig sind wie die von Martina van de Gey. Wie Sie sehen, haben wir deshalb heute Abend in diesen Räumlichkeiten ein wenig umdisponiert und eins der Bilder hier mittig an die Wand gestellt: Als Anschauungsobjekt, in das Sie sich vertiefen können und als didaktisches Hilfsmittel für mich.

Denn Martina van de Gey malt Bilder, die den Betrachter neugierig und oft ratlos machen, deren Motive rätselhaft und unerklärlich erscheinen. Tatsächlich muss man diese Arbeiten genauer anschauen, sie erschließen sich nicht auf den ersten Blick, sie wollen genau und eingehend studiert werden.

Wer sich auf diese Nähe einlässt, erkennt in der Künstlerin eine Geschichtenerzählerin, die sich persönliche und gesellschaftskritische Aspekte zunutze macht, um dem Betrachter etwas mitzuteilen.

Die Botschaften, die in den gemalten Geschichten stecken, sind nie vordergründig. Wer sie sich erarbeitet, findet sich mit höchst aktuellen Themen konfrontiert. Auch wenn die Bildinhalte zeigen, dass die Künstlerin ein Kopfmensch ist, so lassen ihr souveräner Umgang mit Farben und Formen die Ästhetikerin erkennen. Besonders nehmen die Bilder gefangen, bei denen der ästhetische Aspekt und die inhaltliche Darstellung eine Symbiose eingehen.

Schauen wir uns das Bild, das wir hier sehen, - es hat den Titel „Das zerrissene Netz II“ - genauer an. Wir sehen eine schreitende Mädchenfigur, die sich zum Betrachter umwendet und den Blickkontakt zu ihm sucht. Figur und Kleidung des Mädchens bestehen aus Schriftzeichen, der Kopf scheint fotorealistisch als Kollage aufgebracht. Um die zentrale Figur herum schweben eingekreiste Bilder, die wie Erinnerungsblasen wirken. Diese kleinen Bilder im Bild sind mehr oder weniger identifizierbar: Links oben ist ein altmodisches schwarz-weiß-Foto aufgebracht, dass drei Kinder zeigt, die auf einer großen Tonne sitzen und in die Sonne schauen. Rechts neben der Figur klebt eine Kinderzeichnung, auf der ein Mädchen auf einem Pferd erkennbar ist. Wie allegorische Zeichen wirken die Inhalte der beiden anderen Kreisgebilde. Ein junger Mensch scheint hier in die Erwachsenenwelt zu schreiten und sich dennoch nicht von den unscharf werdenden Bildern der Kindheit lösen zu können.

Der Text, aus dem die Figur besteht, ist im Zusammenhang nicht zu entziffern, einzelne Worte wie: „Geld“, „Trend“ oder „Unternehmen“ schon. Martina van de Gey benutzt in vielen ihrer Bilder Texte, die nach eigener Aussage eine inhaltliche Bedeutung haben, die aber nicht wie eine Zeitung lesbar sein sollen, sondern als bildnerisches Mittel dienen. Der formale Aspekt von Schrift als Gestaltungsmittel ist keineswegs neu und läßt sich kuturgeschichtlich weit zurückverfolgen - denken Sie zum Beispiel an die Schriftbänder auf spätmittelalterlichen Gemälden – und setzt auch in der zeitgenössischen Kunst wichtige Positionen, wie bei Hanne Darboven zum Beispiel.

Während in manchen Fällen der ästhetische Aspekt überwiegt, steht bei anderen Kunstwerken die inhaltliche Bedeutung im Vordergrund. Bei den Arbeiten Martina van de Geys ist beides der Fall, denn sie nutzt die Texte nicht nur als ästhetisches Mittel, sondern auch um den Arbeiten inhaltlich eine weitere Bedeutungsebene zu geben.

Besonders interessant wird diese Bildcollage aber erst, wenn man den Hintergrund miteinbezieht, der brüchig und rauh wirkt. Wie bei fast allen ihrer Arbeiten verwendet die Künstlerin viel Zeit, um diesen morbiden Hintergrund-Effekt zu erzielen. Dazu benutzt sie selbstangefertigte Acrylfarbe aus Pigmenten, die sie in fünf-, sechs-, sieben- oder achtfacher Schicht übereinander spachtelt und pinselt, abkratzt und wieder übermalt. Die Spuren der Werkzeuge und des Arbeitsvorganges bleiben sichtbar. Wenn man so will, entsteht als Basis ihrer Kunstwerke erst einmal ein eigenständiges, abstraktes Bild, das in dem einen oder anderen Fall durchaus autonom für sich stehen könnte.

Die Malprozesse bei abstrakter Malerei nachvollziehen kann man übrigens zur Zeit hautnah in einer Ausstellung im Haus der Kunst in München. „Gerhard Richter – abstrakte Arbeiten“ ist der Titel einer großartigen Schau des z.Zt. wohl berühmtesten deutschen Künstlers. Gerhard Richter hat sich mehr als 30 Jahre lang mit der Eigenwirkung von Form und Farbe beschäftigt, wobei die Einbeziehung des Zufalls für ihn eine besondere Bedeutung spielt. „Ich möchte am Ende ein Bild erhalten, dass ich gar nicht geplant hatte, … ich möchte ja gern etwas Interessanteres erhalten, als das, was ich mir ausdenken kann“ sagt Gerhard Richter über seine abstrakten Arbeiten.

Als ich dieses Zitat des Künstlers in der Ausstellung las, erinnerte mich das sehr an das Gespräch, dass ich kurz zuvor mit Martina van de Gey in ihrem Atelier geführt hatte. Sie erzählte mir, wie wichtig ihr das Zusammenspiel von Form und Farbe ist, das der Zufall immer im Spiel ist und und welche Bedeutung diese abstrakten Malprozesse für sie haben. Die Spannung, die sich dabei auftut, erreicht die Künstlerin auch durch die Farbgebung mit Komplementärfarben. Die Farben sind nie laut und grell, eher zurückgenommen, selbst wenn die Farbe Rot – was häufiger vorkommt – dominiert. Der für sich genommen abstrakte Hintergrund mit seiner morbiden, brüchigen Struktur bildet damit einen Gegensatz zu den dargestellten Figuren und den sie umgebenden Geschichten und Symbolen. Besonders deutlich wird dieser Kontrast in einer Bilderreihe, die in den Jahren 2006 bis 2008 entstanden ist. Thema sind hier die virtuellen Spielwelten von Jugendlichen. Play-Station-Spiele wie „Grand Theft Auto“, „San Andreas“ und „Gothic“, die allen Eltern mit heranwachsenden Kindern bekannt sind und deren Nutzung in vielen Familien zu heftigen Kontroversen führen.

Auf dem Bild „Büffelherden grasen“ - Sie kennen es von der Einladungskarte her – sieht man auf unterschiedlichen abstrakten Farbfeldern die Konturen einer schreitenden Figur und eines Kaninchens. Diese Darstellung hat einen besonderen Reiz und wirkt auf den ersten Blick völlig harmlos, entwickelt aber eine ungeheure Dynamik, wenn man die Motivation der Künstlerin für diese Arbeit kennt. Martina van de Gey hat sich nämlich das Playstationspiel „Gant theft auto“ genau angeschaut. Im Spiel selbst findet man eine naturgetreue, idyllische Landschaft, in der Büffelherden grasen – daher der Bildtitel -, Kaninchen am Wegesrand hoppeln und irgendwo malerisch Wasser plätschert. Tatsächlich geht es in diesem Spiel um harte Kampfspiele, in denen eine Brutalität herrscht, die kaum zu überbieten ist.

Die vorgegaukelte idyllische Landschaft steht in einem extremen Gegensatz zu den darin stattfindenden Kriegsschauplätzen. Martina van de Gey nutzt hier die Texte der Spielanleitung, in der die heile Welt beschrieben ist, um daraus die Kontur einer Figur und eines Tieres anzuzeigen. Diese Figur, das könnte der Jugendliche sein, der sich auflöst im Spiel, das Kaninchen dagegen, das wie eine harmlose, einfache Kinderzeichnung wirkt, symbolisiert die makabere Doppeldeutigkeit eines die Gewalt verherrlichenden vituellen Spiels.

In einigen Spielen ersetzen Versprechungen und Lebensweisheiten die realen Erlebnisse mit per Mausklick gesteuerten Emotionen vor dem Bildschirm. Facit: Der Mensch im Netz kann auf alle wahren zwischenmenschlichen Beziehungen verzichten und löst sich im Cyberspace auf.

In den beiden Arbeiten „Sein Leben I“ und „Sein Leben II“ macht Martina van den Gey die Verknüpfungen virtueller Spielwelten mit den realen Amokläufen junger Menschen zum Thema. Auf einem brüchigen, roten Hintergrund ist jeweils eine Jungenfigur zu sehen, die komplett aus Text besteht. Hier kann der Betrachter, wenn er sich Mühe gibt, Zeitungsberichte zu den Amokläufen in Emsdetten vor gut einem Jahr entziffern. Brisante, emotional geladene Themen wie die Gewaltbereitschaft bei Jugendlichen greift die Künstlerin in diesen Arbeiten ohne Vorwurf und ohne Anklage auf und erreicht auf ihre Art eine neue Sichtweise auf das Geschehen. Mich haben diese Bilder sehr beeindruckt, weil sie ein hochaktulles Thema auf sehr eigenwillige künstlerische Weise angehen.

Die nach einer Chinareise entstandenen Eindrücke verarbeitete Martina van de Gey zu einer Bildserie mit dem Oberbegriff „Europa“. Auf allen dieser großformatigen Arbeiten sind weibliche Figuren mit irgend etwas beschäftigt. Auf dem Bild „Europa treibt Handel I“ beispielsweise hält Europa als modern wirkende junge Frau ein Kettengebilde in der Hand, an dessen oberem Ende in einer Erzählblase die Wartburg als Symbol unserer Kultur zu erkennen ist. Der Blick von China nach Europa und umgekehrt ist hier symbolisch dargestellt, wobei Martina van de Gey nach eigenen Worten Europa als langsam und traditionell definiert, China dagegen als schnell und rücksichtslos.

Bei einem Blick auf die heimische Region geht die Künstlerin der Frage nach, was uns Menschen glücklich macht. Dazu hat sie den Ort Rastede in Anlehnung an Satellitenbilder von Google auf drei Leinwände gebracht, die den Titel tragen „Vom Himmel auf Erden“. Aus dem schwarz-weiß-gerasterterten Straßengeflecht hebt sie Straßen und Plätze = Konsumplätze hervor. Pizzerien, Sexshops und Autohäuser sind markante Punkte, die das große und kleine Glück bedeuten und damit den Himmel auf Erden versprechen.

Abschließend möchte ich auf zwei Bilder eingehen, die den Titel tragen „Suche I“ und „Suche II“. Wie bei fast allen Arbeiten der Künstlerin steht auch hier der Mensch im Mittelpunkt des Geschehens. Vor einem abstrakten Hintergrund, der die schon bekannte brüchige, morbide Struktur hat, bückt sich eine menschliche Gestalt zu Boden und scheint etwas zu pflanzen oder aufzuheben. Die aus Schriftzeichen bestehenden Gestalten haben etwas berührend Archaisches, der Mensch als Jäger und Sammler kommt einem in den Sinn. Die Ruhe, die diese Bilder ausstrahlen, ist allerdings trügerisch. Denn auch hier sind die Texte nicht etwa der Genesis entnommen, sie stammen aus der virtuellen Spielewelt und holen den Betrachter damit ohne Umschweife in die Wirklichkeit zurück. Wir erleben hier Kunst nicht als l´Art pour l´Art sondern als kommunikativen Bestandteil des gesellschaftlichen Diskurses. Die in dieser Ausstellung gezeigten Bilder sind auch Ausdruck des medialen Wandels in unserer Gesellschaft und der damit einhergehenden Veränderungen von Individualität und Identität, denken Sie an die Play-Station-Bilder.

Schrift, Gedächtnis, Textlichkeit, Bildlichkeit und Selbstreferenz sind die Pfeiler, auf die die Künstlerin baut. Martina van de Gey schafft in ihren Bildern mühelos den Spagat zwischen Ästhetik und Gesellschaftskritik. Machen Sie sich die Mühe und schauen Sie genau hin. Es lohnt sich.

Ich wünsche Ihnen anregende Gespräche bei der Entschlüsselung der Bilder – Martina van de Gey ist Ihnen dabei gern behilflich - und danke für Ihre Aufmerksamkeit.





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Jürgen Weichardt: Eröffnungsrede anlässlich der Ausstellung im Kunstfoyer am Langenweg, Treuhand, Oldenburg am 26. April 2006:

Allen Unkenrufen zum Trotz, es gibt sie noch - die Malerei. Nicht nur die großen Ausstellungen in Berlin oder in Venedig zeigen das, auch dieses Haus, die Treuhand, hat sich verdient gemacht, die Malerei in ihrer Substanz immer wieder vor Augen zu führen. Und noch ein zweites Verdienst: Die Auswahl der Künstlerinnen und Künstler die in diesem Haus bisher gezeigt wurden, hat dazu beigetragen, ein breiteres Spektrum an Vielfalt der Malerei in Oldenburg sichtbar zu machen, eine notwendige Ergänzung zur Arbeit der Museen, die im Augenblick ohnehin kaum etwas für die Oldenburger Szene tun.

Martina van de Gey, die seit einigen Jahren in Oldenburg lebt und arbeitet, hat sich schon an einigen Ausstellungen in der Region beteiligt und gehört dennoch zu den Entdeckungen, die auf dieses Haus zurückzuführen sind.

Wollte man die Kunst von Martina van de Gey auf den Punkt bringen, dann müßte man sagen: Die Künstlerin bewegt sich in der scheinbar unbegrenzten Zone der Abstraktion. Dieses Wort wird dabei in seinem ursprünglichen Sinn verwendet - Es meint ein Lösen vom Gegenstand, ohne diesen im Prinzip aufzugeben. Das Wort ist damit deutlich vom Begriff der Ungegenständlichkeit in der Malerei zu unterscheiden.

Tatsächlich macht es die Künstlerin dem Betrachter auch nicht zu schwer, Gegenstände in den Bildern zu entdecken, und zuweilen weisen sogar Titel darauf hin. Wir sehen Schalen und Krüge, Hütten und Hände, Pflanzen und Sonnen, um nur einige Beispiele zu nennen. Aber diese Dinge und Motive sind keineswegs realistisch gemalt, es geht der Künstlerin nicht um eine Darstellung der Wirklichkeit, sondern die Dinge sind stark vereinfacht, zuweilen auf eine Kontur reduziert, also ganz unräumlich, ohne Tiefe, letztlich eben abstrahiert. Die Dinge sind primär Andeutungen für Inhalte und Zusammenhänge, die offen bleiben und der Fantasie des Betrachters einen Anstoß geben, über den Sinn dieser Darstellungen nachzudenken.

Dabei helfen die Titel, auch wenn den meisten von uns - ich schließe mich da ein - einzelne Wörter wie »ta' amia» oder »dareda» fremd sind und verschlossen bleiben. Aber es sind keine Kunstwörter, wie man das bei Kollegen oder Kolleginnen finden kann, sondern sie stammen aus einem Dialekt aus Tansania - und das führt zu einer eigenen Geschichte, die dem Verständnis der Bilder nachdrücklich dient. Martina van de Gey kann diese Geschichte natürlich viel authentischer erzählen als ich, aber sie hat mir das Feld überlassen:

Ein Besucher ihrer Malkurse, der sich für Afrika außergewöhnklich stark interessierte, hat einen Kontakt zu einem Waisenhaus in Tansania hergestellt, d.h. er hat die Kinder des Waisenhauses animiert, Zeichnungen nach Oldenburg zu schicken, auf die Martina van de Gey in mehrfacher Hinsicht reagiert hat: Sie hat nicht nur geantwortet, sondern auch ganz bestimmte Fragen gestellt, wo durch der Kontakt intensiviert wurde. Und sie hat Inhalte, Elemente aus den Zeichnungen für sich adaptiert und in ihre Arbeiten übernommen. So ist allmählich das große Thema »Afrika» entstanden, das ihre Kunst zeitweilig geprägt hat und das ihr Interesse auf den südlichen Erdteil gerichtet hat. Da sie selbst aber nie in Afrika war, sind die Bilder von ihrer Vorstellung und von den Anregungen der Kinder des Waisenhauses geprägt, jedoch nicht von Erfahrung und Erleben. Das ist beileibe kein Nachteil. Vielmehr bewahrt sich die Künstlerin eine Distanz zum Themenkomplex, der es ihr ermöglicht, auf die Darstellung der tansanischen Landschaft zu verzichten und die Menschen nicht nachzubilden. Überhaupt fällt auf, dass die Bilder kein Menschenbild transportieren - der Grund ist einfach: Diese abstrahierende Malerei wird dem Menschen nicht gerecht.

Zurück nach Afrika:

Die angesprochenen Titel sind Beispiele für die Übernahme von Motiven und Ideen: »Ta' amia» heißt »Gericht», »Dareda» heißt »Ort» - Die Tansanischen Kinder hatten diese und andere Wörter auf ihre Zeichnungen geschrieben. beide Wörter verlieren in der Übersetzung nichts von ihrer Aura, von ihrem scheinbaren Geheimnis. Aber sie helfen, die Motivik in den Bildern besser zu verstehen: Natürlich haben die Kinder des Waisenhauses Elemente ihres Lebens und ihrer Umwelt aufgezeichnet, und das sind eben schlichte Schalen, einfache Krüge zum Wasserholen, was jeden Morgen vor dem Waschen gerledigt werden muß, und Löffel, aber auch Baumrinde und Pflanzen wie den Bananenbaum.

Martina van de Gey nimmt diese Anregungen auf, zumal einige ihr sehr gelegen kommen, denn mit den Gefäßen als Form hatte sie sich schon vorher beschäftigt und sie in ihren Bildern als Motive eingesetzt. Sie nach der Korrespondenz mit den afrikanischen Kindern weiter zu malen, bedeutet keine formale Übernahme, sondern eine stimmungsmäßige Annäherung. Die Malerei der Künstlerin bleibt im abstrakten Bereich und sie bleibt zeitgenössische Kunst. Sie unterwirft sich nicht der folkloristischen Masche, die nicht selten die Begegnung mit fremden Kulturen für Außenstehende so unerträglich macht.

Mit mehreren kompositionellen Elementen wehrt Martina van de Gey einerseits die Vereinnahmung durch schöne afrikanische Formen und Farben ab: Da ist am auffälligsten die Teilung des Motivs in zwei Bilder, die getrennt, wenn auch nahe beieinander ausgestellt werden. Diese Teilung hat ihre eigene Offenheit: Es gibt Doppelbilder, in denen wird das Nebeneinander geradezu verlangt, weil sonst das Motiv keine Einheit und Ganzheit ergibt, auch das ins Bild geschriebene Wort paßt nicht zusammen. Aber wir finden auch Doppelbilder, die Formenwiederholungen zeigen und demzufolge auch beliebig zueinander gestellt werden können - nebeneinander oder übereinander. Sie, meine Damen und Herren, finden etliche Beispiele in der Ausstellung. Eine solche Bildteilung ist ein intellektueller Akt, der auf der Tradition der modernen Malerei beruht, aber gewiß kein Vorgang, der afrikanischen Kinderzeichnungen entspricht.

Ein weitere Aspekt in diesem Zusammenhang ist die Wiedergabe der Gegenstände, die Martina van de Gey im Grunde bewußt schlicht und nicht selten zeichnerisch gehalten hat: Eine einfache Kontur, in ihrer Stärke durchaus nicht gleichmäßig, umfährt die Form und kennzeichnet sie als Schale oder Krug. Zuweilen können wie beim Löffelbild auch einfache Linien in die Komposition einbezogen werden, die vielleicht als ein Wort verstanden werden sollten. Doch ist ihre lineare Wirkung vor einer Farbfläche zuweilen stärker als der Drang zu einer Mitteilung, die zudem sehr einfach ist: Das sich in diesem Bild ergebende Wort heißt »Vlixko», und das heißt wieder »Löffel», zusammen mit dem Löffel also eine Tautologie , die eine Form bezeichnet.

Dritter Aspekt dieser Malerei moderner Prägung ist die Farbgebung, vor allem Farbwahl und Auftragsweise der Farben: Daß Martina van de Gey in dieser Hinsicht eine Entwicklung durchgemacht hat, läßt sich in der Gegenüberstellung älterer Bilder mit den diesjährigen Werken leicht belegen: In den älteren ist der Bildgrund vielfarbig, transparent; selbst wenn er mehrfach überarbeitet sein sollte, ergeben sich keine geschlossenen Flächen, sondern Ebenen, in denen die Pinselspur die Handschrift der Autorin sichtbar werden läßt.

In den neuen Bildern werden dagegen relativ geschlossene Gründe erarbeitet, nach Aussagen der Künstlerin, in langwierigen Prozessen, wenn die Flächen vielfach übermalt werden aber dabei dann darauf geachtet wird, dass die ältere Farbschicht wieder total unter einer neuen Decke verschwindet.

Die Vorstellung einer Tischfläche, eines Lehmbodens, eines Erdbodens könnte hinter dieser festen Schichtung der Farben stehen. Aber alle deutlichen Hinweise auf Gegenstände werden vermieden. Und am Ende findet die Künstlerin Mittel, die Festigkeit der Malgründe wieder aufzuheben, vielleicht, um sich nicht zu nahe an eine eindeutige Dinglichkeit zu begeben. Diese eignen sich anders als die frühen transparenten Flächen in besonderer Weise für zeichenhafte Zeichnungen und Strukturen, die in einer lebhaften Malerei nicht in Erscheinung treten können:

Schauen wir auf das Bild »Agar 68»: Agar heißt »Zutat» und gehört demnach zu den einfachen Begriffen des ärmlichen afrikanischen Lebens. Schale und Krug mit weißer Farbe einfach gezeichnet stehen vor Flächen, die keine Räumlichkeit erkennen lassen,. Auf eine Perspektive wurde verzichtet. Dafür aber werden die Flächen nicht nur dicht gemalt, sondern dann wieder mit neuen Formen besetzt - etwa mit relativ systematischen Strukturen, die in die Flächen eingeritzt werden, nicht nur wie eine Zeichnung in Leder, auch wie ein Pflug in den Erdboden.

In anderen Bildern werden diese Grundflächen durch pastose, d.h. spürbar tastbare Elemente, die nicht gegenständlich gedeutet werden können, aufgelockert, vielleicht sogar aufgerissen. Die Malerei von Martina van de Gey nähert sich immer mehr einer dreidimensionalen Ausdrucksweise.

Ich habe diese Malerei dank der Anregungen der Künstlerin ziemlich nahe an das Thema »Afrika» herangerückt, möchte aber betonen, dass die Bilder vor allem und zuerst als abstrakte Bilder der gegenwartsbezogenen Kunstauffassung zuzurechnen sind. Sie bestehen auch ohne den afrikanischen Bezug, weil die Künstlerin nicht erzählt, sich nicht auf einen vergänglichen, d. h. von der Zeit überholbaren Inhalt festlegt, sondern offen bleibt.

Diese Offenheit beginnt beim Grund, ist in der Farbwahl zu sehen und nicht zuletzt in der angedeuteten oder assoziativen Gegenständlichkeit. Die Bilder öffnen sich, sie schließen nicht ab. Sie sind Meditationstafeln, sie stellen Fragen und lassen die Antworten offen. Der Betrachter wird von der rauhen, keineswegs geschönten Farbigkeit angezogen, auch von den zum Teil rätselhaften Formen, und er wird dabei gezwungen, sich selbst über die inhaltlichen Beziehungen im Klaren zu werden. Ich habe Ihnen dazu einige Hinweise gegeben; es liegt jetzt an Ihnen, in die Bilder visuell und gedanklich einzudringen.



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